Diskussion: Erich Marckhl und Harald Kaufmann – Bruchstücke eines Netzwerks
Julia Mair: "Hätte Kaufmann (der ja leider vorher verstorben ist) Erich Marckhl als ersten Rektor der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Graz befürwortet, oder hätte er sich, wie viele andere von Marckhls Kollegen (beispielsweise Max Heider), von ihm abgewandt?"
Susanne Kogler: "Die Frage ist natürlich sehr spekulativ und prinzipiell wäre es in jedem Fall interessant zu klären, wer warum Marckhl die Gefolgschaft verweigert hat. Betrachtet man die Unterlagen zum Verhältnis zwischen Kaufmann und Marckhl, gewinnt man den Eindruck, dass ihre Beziehung sehr tragfähig war. Ich wäre überrascht, wenn sie nicht weiterhin Bestand gehabt hätte."
Juliane Oberegger: "Warum genau Kapfenberg? Gibt es dafür politische/personelle Gründe?"
Susanne Kogler: "Das ist eine sehr gute Frage, die ich mir auch schon gestellt habe und der ich in Zukunft noch nachgehen möchte. Denn ich vermute, dass es eher personelle Gründe waren und halte die Klärung dieser Frage daher auch für die Frage nach Netzwerken sehr wichtig. Festhalten kann man sicher jetzt schon, dass es Marckhl um eine Kooperation der regionalen mit der bundes- und landesweiten Musikausbildung zu tun war, was auch die Agenda des Landesmusikdirektors bestimmte. Dass es diesen Posten heute nicht mehr gibt, zeigt, dass dieser Gedanke sich letztlich nicht durchgesetzt hat. Er ist natürlich ein Relikt der NS-Kulturpolitik, allerdings erscheint mir dennoch diskussionswürdig, ob und wie eine solche engere Vernetzung im Sinne der Begabtenförderung aktuell noch relevant sein könnte."
Juliane Oberegger: "Gibt es Informationen über das (private) Glaubensleben Marckhls, oder unterstützte er die Sache aus rein repräsentativen Gründen?"
Susanne Kogler: "Wirklich private Informationen habe ich bisher nicht gefunden. Das autobiographische Manuskript zu seiner Musik macht allerdings deutlich, dass religiöse Inhalte auch für sein Komponieren zunehmend wichtig wurden. Daher gewinnt man den Eindruck, dass er vielleicht doch in der Hinwendung zur Religion eine Möglichkeit sah, mit vergangener Schuld und Verstrickungen in das verbrecherische Regime fertig zu werden – auch wenn er das niemals so direkt thematisiert hat."
Juliane Oberegger: "Hat sich Kaufmanns Nähe zu Marckhl in irgendeiner Weise negativ auf die Rezeption Kaufmanns ausgewirkt?"
Susanne Kogler: "Kaufmann war trotz seiner engen Verbindung zu Marckhl auch immer sehr eigenständig, das zeigt sich etwa in den Diskussionen um Zeitungsberichte über Akademie-Aufführungen, in der er sehr wohl auf seiner Position als unabhängiger Musikjournalist beharrte, was übrigens sein Verhältnis zu Marckhl nicht zu trüben schien. Marckhl respektierte Kaufmanns Meinung. Vielleicht hat das auch seine Rezeption als eigenständiger Musikpublizist, der er ja zweifelsfrei auch war, gefördert. Ich habe generell nicht den Eindruck, dass Kaufmanns enges Verhältnis zu Marckhl sehr bekannt ist, es wurde zumindest in den bisherigen wissenschaftlichen Beiträgen über Kaufmann nicht besonders erwähnt. Unsere Forschung zu diesem speziellen Netzwerk ist hier sicherlich ein neuer Aspekt hinsichtlich Person und Wirken Kaufmanns."
Johanna Trummer: "Was war Konfliktthema des erwähnten Streits Marckhls mit der lokalen Presse 1964, in dem auch Kaufmann öffentlich Stellung nahm? (Steirischer Herbst? - Welche Position vertrat Marckhl dabei, wofür wurde er kritisiert?)"
Susanne Kogler: "Diese Frage muss auch noch näher untersucht werden. Es scheint sich aber abzuzeichnen, dass gerade auch die etablierten Netzwerke zur Politik ein Kritikpunkt waren. Generell gab es Unstimmigkeiten über die Frage der Internationalität und die Rolle lokaler Einrichtungen und Künstlerinnen und Künstler im steirischen Musikleben. Marckhl vertrat hier einen Mittelweg, wobei er einerseits gemäß den Vertretern des Tonkünstlerbundes zu wenig für lokale Komponistinnen und Komponisten eintrat, andererseits wollte er die Aktivitäten der Studierenden und Lehrenden der Akademie mit dem Musikleben vernetzen, was den Jungen, die vor allem internationale Künstlerinnen und Künstler nach Graz bringen wollten, nicht zu behagen schien. Das muss aber noch genauer erforscht und dargestellt werden."
Johanna Trummer: "Inwiefern sollte Musikwissenschaft laut Kaufmann (und Marckhl) in der Musikpädagogik eine Rolle spielen? Welche musikwissenschaftlichen Leistungen, die Bedeutung außerhalb des akademischen Bereichs hatten, meint Kaufmann im Zitat ab 28:53?"
Susanne Kogler: "Kaufmann tritt hier für eine praxisbezogene Musikwissenschaft ein, wie sie an den Kunstuniversitäten bis heute – mitunter auch im Gegensatz zur universitären Musikforschung –- programmatisch in den Vordergrund gestellt wird."
Johanna Trummer: "Könnten Sie näher auf die gegen Ende angesprochenen Tendenzen Marckhls gegen zukunftsweisende Entwicklungen und linke Perspektiven eingehen?"
Susanne Kogler: "Marckhl hat sich oft gegen Gewerkschaften ausgesprochen und kam auch daher mit den 68er in Konflikt. Hier zeichnen sich meines Erachtens ein Generationenkonflikt und auch ein Konflikt um Autoritätsverhältnisse ab, zusätzlich zur Frage nach den Machtverhältnissen in der Kulturpolitik."