Kanon (Inhalte der Musikausbildung)

Das dritte Leitthema betrifft Inhalte der Musikausbildung, den Kanon.[1] Hinsichtlich des Kanons legte Marckhl u.a. in einem Vortrag aus dem Jahr 1971 seine Ansichten dar: „Es ließe sich daraus die Lehre ziehen, daß ein gewisses Gewohntwerden nicht ein abträgliches Symptom der Kunst sein müsse – es ist kein Symptom der Minderwertigkeit, gerne Bach und Beethoven zu hören -, sondern vielmehr den Programmgestaltern geboten sei, dem Neuen dazu zu verhelfen, bis zu einem möglichen und zuträglichen Grad gewohnt zu werden. Es ist nicht unbedingt ein Zeichen von Minderwertigkeit, Beethoven - und Schubertprogramme zu schätzen, es ist ebenso einseitig, dies ausschließlich zu tun, wie es einseitig ist, sich lediglich zu Programmen von Kagel aufwärts zu bekennen.“[2]

Aktuelle Forschungen zum Kanon hinsichtlich einer Dominanz Deutschlands legte u.a. Anselm Gerhard vor , der die „Vorherrschaft der deutschen Musik nach 1945“ in Frage stellt.[3] Pamela M. Potter wies auf die „hohe Wertschätzung der deutschen Musik“ im wissenschaftlichen Kanon und im Konzertleben in den USA hin, ohne dass die Wissenschaft den „politischen Charakter germanozentrischer Tendenzen“ ausreichend reflektiere.[4] Potter unterstrich auch die „geistigen Strömungen, die zumindest in Aspekten der nationalsozialistischen Ideologie eine Entsprechung fanden“ und die sich „nach 1945 in irgendeiner Form“ fortsetzten, sodass eine isolierte Betrachtung der NS-Zeit ergänzungsbedürftig sei.[5] Österreich betreffend, wurde vor allem das Jahr 1941, „die nationalsozialistische Einkreisung Mozarts“, thematisiert.[6] Thomas Eickhoff hat die Vorgeschichte der Idee, bei den Salzburger Festspielen einen Mozart-Kult als Gegenpol zur zeitgenössischen Musik zu etablieren, angesprochen. Er bemerkt resümierend, es mute „angesichts der unstrittig bedeutsamen und einflussreichen Stellung, die auch andere Komponisten in der Nachkriegszeit im (nicht nur österreichischen) Musikleben erlangten, erstaunlich an, dass in bisherigen Studien bzw. Komponisten-Monographien der kulturpolitische Aktionsradius neben der kompositorischen Tätigkeit weder umfassend noch systematisch im zeitgeschichtlichen Kontext behandelt worden ist“.[7]

Hinweise zum Repertoire im steirischen Musikleben finden sich bei Gerald Krammer, der das Repertoire der Musikvereinskonzerte in den Jahren 1914-1938 und 1939-1945 untersuchte. Er erwähnt Schmeidels Programmierung von Barockmusik, wie etwa die oratorischen Werke Johann Sebastian Bachs. 1941 wurde in Zusammenarbeit mit dem musikwissenschaftlichen Institut der Universität Graz eine Johann-Joseph-Fux-Feier zu dessen 200. Todestag veranstaltet.[8] Joseph Marx, seit 1963 Ehrenmitglied der Akademie, wurde zu seinem 60. Geburtstag 1942 Ehrenmitglied des Musikvereins.[9] Klaus Aringer hat den Anfängen der Expositur Oberschützen einen Aufsatz gewidmet, in dem inhaltliche Vorstellungen angesprochen werden: die Bedeutung der Bach-Pflege sei paradigmatisch genannt.[10]


[1] Siehe dazu auch Doris Lanz, Avantgarde als Kanon. Politisch-ideologische Implikationen der Kanonbildung im westdeutschen Musikschrifttum nach 1945, in: Der Kanon der Musik, Theorie und Geschichte. Ein Handbuch, hg. Von Klaus Pietschmann und Melanie Wald-Fuhrmann, München 2013, S. 591-605.
[2] Erich Marckhl, Engagement, Protest, Provokation und das Konservative, Vortrag aus dem Jahr 1971, in: Musik und Gegenwart III, Graz 1975, S. 64.
[3] Anselm Gerhard, Die Vorherrschaft der deutschen Musik nach 1945 – eine Ironie der Geschichte, in: Deutsche Leitkultur Musik? Zur Musikgeschichte nach dem Holocaust, hg. von Albrecht Riethmüller, Stuttgart 2006, S. 27.
[4] Pamela Maxine Potter, Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des dritten Reiches, aus dem Amerikanischen von Wolfgang Ette, Stuttgart 2000, S. 321.
[5] Vgl. Potter, S. 332.
[6] Vgl. u.a. Gernot Gruber, Mozart und die Nachwelt, S. S.461, und Volker Kalisch, Die politisch-ideologisch motivierte Mozart-Rezeption,S. 518 in: Mozarts Welt und Nachwelt, hg. v. Claudia Maria Knispel und
Gernot Gruber, Laaber 2009.
[7] Thomas Eickhoff, Mit Sozialismus und Sachertorte. Entnazifizierung und musikpolitische Verhaltensmuster nach 1945 in Österreich, in: Deutsche Leitkultur Musik? Zur Musikgeschichte nach dem Holocaust, hg. von Albrecht Riethmüller, Stuttgart 2006, S. 93. Vgl. auch Friedrich Saaten, Einem-Chronik. Dokumentation und Deutung, Wien u.a. 1982.
[8]Gerald Krammer, Das Repertoire der Musikvereinskonzerte von 1939 bis 1945, in: Musikverein 200. Im Jahrestakt. 200 Jahre Musikverein für Steiermark, hg. von Michael Nemeth, Wien u.a.2016 , S. 145.
[9] Neben Beethoven, Brahms, Bruckner, Strauss, Pfitzner und Reger wurden in den Orchesterkonzerten auch italienische Komponisten
gespielt. Ebd.
[10] Klaus Aringer (Hg.), Gründung und Anfänge der Expositur Oberschützen, in: 50 Jahre Expositur und Institut Oberschützen. Dokumente – Erinnerungen – Bilder, Kunstuniversität Graz, Oberschützen 2015, S. 26, 29.