Bildungs- und Kulturpolitik in der Steiermark der Nachkriegszeit

Die Künste der österreichischen Nachkriegszeit bildeten ein umfangreiches Themengebiet in den Restaurationsbemühungen ab 1945. Besonders Wien als Hauptstadt war sowohl kulturell bedeutsam für Veranstaltungen in der NS-Zeit als auch danach beeinflusst durch die Anwesenheit der britischen, französischen, amerikanischen und sowjetischen Besatzer. Bereits kurz nach Kriegsende wurde das Musikleben wieder aktiv, und die Besatzungsmächte befürworteten das auch. Man begann damit, die kulturellen Institutionen (Rundfunk, Theater- und Opernbühnen, Konzerthallen, etc.) unter sich aufzuteilen, was den stattfindenden Veranstaltungen eine propagandistische Funktion gab. Der Kalte Krieg und damit die Aufspaltung in zwei ideologisch gegenüberstehende Komplexe bringt diese Einigkeit zwischen den Besatzungsmächten ins Wanken. Auch die Institutionen ordnen sich mehr oder weniger deutlich jeweils einer politischen Richtung zu: während beispielsweise der Musikverlag Universal-Edition kommunistisch geprägt war, stand der Doblinger-Verlag eher auf der rechten Seite. Musikschaffende und ihre Organisationsinstitutionen zeigten ähnliche Tendenzen. Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) stand politisch links, der Österreichische Komponistenbund unter der Leitung von Joseph Marx rechts. Ein schwieriger Punkt in der Musikgeschichte Österreichs der Nachkriegszeit war der Umgang mit den vertriebenen Musikschaffenden. Einige erhielten Einladungen zur Rückkehr, aber bei weitem nicht alle. Probleme ergaben sich für die Rückkehrenden vor allem durch mangelnde Kontakte und Unterstützung sowie dadurch, dass oft ihre ehemaligen Arbeitsstellen noch ‚besetzt‘ waren. Auch war die nationalsozialistische/antisemitische Gesinnung natürlich nicht von einem Tag auf den anderen verschwunden, nur weil die NS-Diktatur beendet war.[1]



Viele Musikschaffende, die um des Erfolges Willen mit dem nationalsozialistischen Regime sympathisiert hatten,  versuchten, sich mit dem Argument der ‚inneren Emigration‘ aus der Affäre zu ziehen.  Ihnen gegenüber standen jene Kunstschaffenden, die sich der Ideologie widersetzten und sich in der Hoffnung auf ein baldiges Ende des Regimes in künstlerisches Schweigen flüchteten – und somit eine wirkliche ‚innere Emigration‘ vollzogen. [2]

In seiner Eröffnungsrede zur Arbeitstagung von Volksliedkundlern und Wissenschaftlern sprach Erich Marckhl von der Bedeutung der Volksliedpflege für die Gesellschaft. In der Gesellschaft der 1960er und 1970er Jahre hatte das Volkslied etwas von der Bedeutung, die ihm im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zugekommen war, verloren. Für diese Tatsache machte Marckhl unter anderem die zunehmende Technisierung der Landwirtschaft verantwortlich, die dem dort gewachsenen und beheimateten Volkslied nach und nach den Boden entzog. Als wichtig für den Erhalt von Volksliedern und –musik nannte Marckhl die Jugendbewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts (z.B. die Wandervogel-Bewegung). Während der städtischen Gesellschaft das nötige Verständnis für das ländliche Volkslied fehlte, fand es in den Jugendbewegungen aufgrund der fehlenden ständischen Konventionen und Beschränkungen einen Aufschwung. [3]

Nach Kriegsende wurden alle in der NS-Zeit ins Leben gerufenen Institutionen und Verbände mit großem Misstrauen betrachtet. Mit dem Ende des Regimes am 13. April 1945 kamen sämtliche Bildungs- und Kulturstrukturen zum Erliegen, und dies betraf unter anderem auch die Grazer Hochschule in Eggenberg. Eine Weiterführung des vorher so aktiven Musikschulwerks war unter diesen Bedingungen vorerst nicht möglich, und ein Neuaufbau gestaltete sich als äußerst schwierig. Viele der ehemals dort beschäftigten Lehrer waren für den Wiederaufbau herangezogen worden und damit nicht für ihren eigentlichen Beruf verfügbar. Maßnahmen zur Neugestaltung eines Musikschulwerks wurden von den amerikanischen Besatzern mit einigem Argwohn beobachtet, und das zu Recht: bereits wenige Wochen nach Kriegsende wurde versucht, ehemalige Nationalsozialisten über Umwege zurück auf ihre Posten zu bringen. Man wollte also die Entnazifizierungsmaßnahmen abwarten, um an Ende dann weiterzumachen, als wäre nichts geschehen.[4] Ganz allgemein kann man sagen, dass das Entnazifizierungsprogramm „voll von Fehlstarts, Widersprüchen, Fehlinformationen und Ausnahmen“[5] war. An der Universität Wien wurden zwar einige Professoren ihres Amtes erhoben, der Großteil durfte jedoch unbehelligt weiter lehren. Entlassungen zu einem späteren Zeitpunkt kamen im Prinzip nicht vor. [6]

Eine weitere Schwierigkeit war die Tatsache, dass die Besatzungssoldaten Instrumente der Landesmusikschule für ihre eigenen Zwecke beschlagnahmten. Dennoch rissen die Bestrebungen für eine Wiederaufnahme der Musikausbildung nicht ab. Die provisorisch eingesetzte steirische Landesregierung versuchte im Sommer 1945, die für den Arbeitseinsatz requirierten ehemaligen Musiklehrer von diesem Dienst freistellen zu lassen, und schließlich hatte sie damit auch Erfolg. Ende Juni fand wieder regelmäßiger Musikunterricht statt. Während die dem Grazer Konservatorium angehörende Volksmusikschule bereits im Mai 1945 ihre Tätigkeit wieder aufnahm, zum Teil in den Privatwohnungen der Lehrkräfte [7], war die Zukunft der ehemaligen Reichsmusikschule ungewiss. Das Staatsamt für Volksaufklärung erkundigte sich nach einiger Zeit bei der Landeshauptmannschaft, wie man mit der in der NS-Zeit eingerichteten Hochschule verfahren wollte und inwiefern überhaupt noch der Bedarf nach einer solchen Hochschule gegeben war. Nach einigem Abwägen der Optionen – einerseits eine Auflösung der Hochschule, andererseits eine Zusammenführung mit dem Konservatorium des Musikvereins – wurde die Reichshochschule nicht wiedereröffnet, sondern am 9. August 1945 aufgelöst. Den Teil der Lehrkräfte, den man für unbedenklich und fähig genug erachtete, setzte man im Konservatorium ein (Walter Wünsch, Ernst Günthert, Wolfgang Grunsky).

Das Gebäude selbst wurde vom britischen Militär beschlagnahmt. Zwischen den ehemaligen Lehrenden und Studierenden der Reichshochschule bestand jedoch noch für viele Jahre ein enger Kontakt (Briefe, ‚Eggenberger Treffen‘). Aus einigen der ehemaligen Hochschule verbundenen Persönlichkeiten formierte sich 1949 der neue Steirische Tonkünstlerbund. Während man hier durchaus von personellen Kontinuitäten sprechen kann, also von Personen, die sich vor, während und nach dem Krieg in einflussreichen Positionen befanden, findet man beim Musikverein für Steiermark dazu auch noch die institutionelle Kontinuität. Obwohl die Tätigkeiten des Musikvereins der kulturellen Gleichschaltung des NS-Regimes sehr zugute gekommen waren, nahm er bereits im Sommer 1945 wieder die Arbeit auf.[8] Im Gegensatz zu vorher begann sich der Musikverein als private Organisation neu zu organisieren und versuchte, als institutionalisiertes Konzertbüro an den internationalen Musikbetrieb anzuschließen.[9]


Die Entnazifizierung stellte sich recht bald als schwieriger, wenn nicht gar unmöglich durchführbarer Prozess heraus. Die Siegermächte machten es sich zum Ziel, sämtliche Einflüsse des NS-Regimes aus Kultur, Wirtschaft und Gesellschaft des deutschen Volkes zu tilgen, was sich jedoch als nicht realisierbar zeigte. Besonders der Bereich des Musiklebens stellte sich als problematisch heraus. Personelle Kontinuitäten waren an der Tagesordnung, und sowohl Musikschaffende, Publizierende und pädagogische Fachkräfte führten ihre Tätigkeiten zumeist ungehindert fort. Viele Punkte in den Arten dieser Kontinuitäten sind noch ungeklärt. Die meisten dieser Kontinuitäten waren jedoch nur aufgrund von bereits in der Weimarer Zeit geknüpften, während der NS-Zeit gepflegten und in der Nachkriegszeit genutzten Netzwerken möglich. Eine Beschreibung dieser Netzwerke, die Personen im gesamten deutschsprachigen Raum zugutekamen, ist daher ein erster Ansatzpunkt.[10] Orientiert man sich an Personallisten der Nachkriegszeit, bemerkt man, dass ehemalige Lehrende der Reichsmusikschule an anderen Institutionen wieder in Erscheinung treten, wie etwa Roderich von Mojsisovics (Bild links) an der Grazer Opernschule. Es gibt jedoch auch Persönlichkeiten, die in der NS-Zeit sehr angesehen waren und die danach in der Versenkung verschwanden, beispielsweise Hanns Holenia. Holenia war vor dem Anschluss Lehrer am Grazer Konservatorium, und danach wurde er als Professor für Instrumentationskunde an die Reichshochschule geholt. Seine Kompositionen wurden mit Erfolg aufgeführt, was jedoch nichts an der Tatsache ändert, dass er nach dem Krieg auf keiner Personalliste einer Musikinstitution mehr auftaucht.[11]

Mit der Wiederaufnahme der Tätigkeit an der Musikschule wollte und konnte man die Ausbildung jedoch nicht fortführen, sondern man arbeitete an einer Weiterentwicklung und Neugestaltung. 1948 wurde am Landeskonservatorium ein Seminar für Musikerziehung eingerichtet, welches am Beginn als Ausbildung für private Musiklehrenden gedacht war. Man dachte aber auch schon etwas weiter in die Zukunft – das Seminar sollte den Grundstein legen für eine wissenschaftliche Ausbildung von Lehrkräften des Fachs Musik an der Grazer Universität. Vorerst erklärte sich die Landesregierung nur mit der Durchführung des dreijährigen Lehrgangs einverstanden; wollten sich die Studierenden weiter fortbilden, mussten sie nach einer Aufnahmeprüfung an die Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien gehen. Die Lehramtsprüfung fand zu dieser Zeit ausschließlich in Wien statt, eine eigene Prüfungskommission für Graz wurde erst 1961 eingerichtet. Eine bedeutende Rolle beim Aufbau einer neuen Musiklehrerausbildung kam Waldemar Bloch zu, der als Vorstand der Fachgruppe für Theorie und Ensembles und als Lehrer für musiktheoretische Fächer am Konservatorium wichtige Schritte setzen konnte.[12]

 


[1] Hannes Heher, Musik und Politik 1945 bis 1956, in: Die Künste der Nachkriegszeit. Musik, Literatur und bildende Kunst in Österreich, hg. von Stefan Schmidl (Wiener Musikwissenschaftliche Beiträge 23), Wien u.a. 2013, S. 25-28.
[2] Vgl. Frank Schneider, Aufbruch mit Widersprüchen – Neue Musik im Zeichen der Nachkriegspolitik, in: Deutsche Leitkultur Musik? Zur Musikgeschichte nach dem Holocaust, hg. von Albrecht Riethmüller, München 2006, S. 164.
[3] Erich Marckhl, Eröffnungsrede des Herrn Präsidenten o. ö. Prof. Dr. Erich Marckhl anläßlich der Arbeitstagung von Volksliedkundlern und Wissenschaftlern am 9.7.1965, Graz 1965, S. 5-8.
[4] Vgl. Helmut Brenner, Musik als Waffe.Theorie und Praxis der politischen Musikverwendung, dargestellt am Beispiel der Steiermark 1938-1945, Graz 1992, S. 251.
[5] Thomas Eickhoff, „Mit Sozialismus und Sachertorte…“ – Entnazifizierung und musikpolitische Verhaltensmuster nach 1945 in Österreich, zit. nach Stephen Gallup, Die Geschichte der Salzburger Festspiele, Wien 1989, S. 193, in: Deutsche Leitkultur Musik? Zur Musikgeschichte nach dem Holocaust, hg. von Albrecht Riethmüller, München 2006, S.88.
[6] Roman Pfefferle und Hans Pfefferle (Hgg.), Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren. Einleitung, in: Schriften des Archivs der Universität Wien. Fortsetzung der Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Universität Wien, hg. von Kurt Mühlberger, Thomas Maisel und Johannes Seidl, Wien 2014, S. 17.
[7] Vgl. Angelika Nair, Waldemar Bloch. Ein Polyhistor im Grazer Musikleben nach 1945, Dissertation, Graz 2009, 68.
[8] Vgl. Helmut Brenner, Musik als Waffe, S. 251-256.
[9] Vgl. Angelika Nair, Waldemar Bloch, S. 68.
[10] Vgl. Michael Custodis (Hg.), Vorbemerkung des Herausgebers, in: Netzwerke der Entnazifizierung. Kontinuitäten im deutschen Musikleben am Beispiel von Werner Egk, Hilde und Heinrich Strobel (Münsteraner Schriften zur zeitgenössischen Musik 1), Münster u.a 2013, S. 11-12.
[11] Vgl. Angelika Nair, Waldemar Bloch, S. 69.
[12] Vgl. ebd., S. 70-71.